Ein Fotografieprojekt von François Klein & Anna Hellge
»Was wisst ihr über Fotografie?« Mit dieser Frage begann der Workshop von Fotograf François Klein und Anna Hellge vom UNHCR im Dezember 2018. Die Antwort des 12-jährigen Abdifatah: »Wir brauchen Fotos für unsere Flüchtlingsausweise, damit die äthiopische Regierung uns als offiziell registrierte Flüchtlinge anerkennt.« Offensichtlich gab es unter den Workshopteilnehmer*innen kein Verständnis für Fotografie als eine Form des Geschichtenerzählens.
Mehr als zwei Millionen Somalis sind aktuell aufgrund eines Konfliktes, der sich bereits seit zwei Jahrzehnten hinzieht, heimatlos. Knapp 250.000 von ihnen leben zur Zeit in Äthiopien. Heute gibt es dort in der Region Jijiga noch drei Flüchtlingslager: Kebribeyah (seit 1991), Aw Barre (seit 2007) und Sheder (seit 2008). 62,2% der aktuell in der Region lebenden Geflüchteten sind jünger als 18 Jahre und 15.142 von ihnen wurden in einem der drei Lager geboren.
Diese Kinder und Jugendlichen kennen keine andere Heimat als Äthiopien, sind jedoch auf die Lager beschränkt – ohne Bewegungsfreiheit und ohne Hoffnung auf eine Zukunft. Sie können – selbst wenn sie Hochschul- oder Berufsfachschulabsolventen sind – weder arbeiten, noch haben sie Zugang zu grundlegenden Leistungen, auf die gleichaltrige äthiopische Staatsangehörige zugreifen können, wie zum Beispiel den Erwerb eines Führerscheins oder die Eröffnung eines Bankkontos.
Dies führt bei vielen zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und stellt ein großes Risiko für die Jugend in der Region Jijiga dar: Mädchen brechen die Schule früh ab und heiraten, da sie keine Perspektive für ein Leben nach der Ausbildung sehen. Jugendliche verbringen ihre Tage untätig in den Lagern und kauen Chat, eine Droge, die in der somalischen Region angebaut wird. Schließlich nehmen sowohl Jungen als auch Mädchen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft die gefährliche Reise über das Mittelmeer auf sich.
Mit dem Fotoprojekt »Their World Through Their Eyes« wollten Fotograf François Klein und Anna Hellge vom UNHCR die Flüchtlingsjugend im Kebribeyah-Lager darin bestärken, den Verlauf ihrer eigenen Geschichten zu ändern. Ihnen die Möglichkeit geben, der Welt in einer universellen Sprache von ihren Wünschen und Träumen und von ihrem Leben zu erzählen. Denn trotz ihrer langen Präsenz in der Region Jijiga gelten die Geflüchteten immer noch als Nutznießer, die nicht aktiv zur Gesellschaft beitragen. François Klein und Anna Hellge wollten mit ihrem Workshop dazu beitragen, dieses Missverständnis zu ändern.
Sie begannen mit kleinen Aufgaben und versuchten zunächst, den 12 Kindern und Jugendlichen aus dem Kebribeyah-Lager technisches Grundwissen zum Betrieb der von der FREELENS Foundation gespendeten Kameras zu vermitteln. Die jungen Fotografinnen fanden schnell Gefallen daran, zu fotografieren und erhielten Ratschläge in Bezug auf Komposition und Beleuchtung der Bilder, bevor sie sich die Themen und Geschichten überlegten, die sie erzählen wollten.
Im Laufe der folgenden Tage dokumentierten dann einige das Leben ihrer Familien und Freunde, während andere den Alltag im Camp oder in der Umgebung festhielten. Alle Bilder wurden jeweils am späten Nachmittag bearbeitet und editiert und am nächsten Morgen diskutierten die jungen Teilnehmer über ihre Bilder und erhielten Feedback und Tipps, bevor sie erneut zum Fotografieren aufbrachen. Die Kinder und Jugendlichen erhielten hierdurch die Möglichkeit, ihre Arbeit zu reflektieren und auch das Selbstvertrauen und die Motivation zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten wurden gestärkt.
Am letzten Tag wurde eine Auswahl aus etwa 100 Bildern ausgewählt und auf einem Bildschirm gezeigt. »Wir konnten unter allen Teilnehmern ein enormes Gefühl des Stolzes spüren«, so Anna Hellge. »Sie wurden sich ihrer Fähigkeit bewusst, sich nun durch eine neue Sprache ausdrücken zu können.«
Die aus Sicherheitsgründen verschobene Ausstellung im Jugendzentrum im Lager Kebribeyah wurde in der letzten Märzwoche 2019 mit einer Preisverleihung und einer kleinen Party für alle Teilnehmer eröffnet. In der UNHCR-Außenstelle Jijiga wurden ebenfalls Bilder ausgestellt.
Die Kameras werden von den Workshop-Teilnehmerinnen weiter genutzt und wir hoffen, dass sie das während des Workshops gewonnene Wissen nicht nur innerhalb, sondern hoffentlich auch außerhalb des Lagers von Kebribeyah an andere Jugendliche weitergeben können.